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KOLUMNE: Tränen im Nagelstudio

Ich gehe zur Pediküre. Habe ich in Deutschland schon gemacht, mal mehr mal weniger regelmäßig. Früher oft nur im Sommer, hier ist aber ja immer Sommer. Und seit ich Yoga unterrichte und ständig meine Füße zeige, achte ich noch etwas mehr drauf. Ich sitze also in einem weißen kleinen Sessel und quatsche ein wenig mit Sally. Der Fachfrau für Nägel, in Dubai nennt man das übrigens „Therapist“.

Wenn du nun einen Artikel erwartest, in dem ich dich über Nagelhaut, Nägel im allgemeinen und die neuesten Nagellackfarben aufkläre, muss ich dich leider enttäuschen. Denn das hätte mir wohl kaum Tränen entlockt, die man aber ganz ehrlich, auch an jedem anderen Ort der Welt weinen könnte.

Die Unterschiede in Dubai sind groß. Das wusste ich vorher. Hier gehen die Menschen zu Chanel, wie in Deutschland zu Budni oder verdienen als Taxifahrer so wenig, dass sie mit sieben anderen Menschen in einem Zimmer leben. Da gibt es nix zu beschönigen, das ist so. Das geht mir nah. Besonders wenn es zu den Menschen ein Gesicht gibt, wenn die Geschichte persönlich wird.

Meine Therapistin Sally ist 38 Jahre alt und zuerst lachen wir ein bisschen über meine eingerissene Nagelhaut an beiden Daumen (irgendwie bin ich in der letzten Zeit nervös und kaue da ständig dran raum) und über einen tellergroßen blauen Fleck an meinem rechten Unterarm, den ich noch nicht kannte. Irgendwie waren das so die beiden Eisbrecher zwischen uns. Manchmal geht die Unterhaltung dann nicht weiter, weil es mit dem Englisch vielleicht schwierig ist, aber Sally spricht fließend.

Sally  ist 38 Jahre. Sie kommt von den Philipinen (manchmal habe ich hier generell eher das Gefühl ich bin auf den Philippinen, weil so viele ihrer Landsleute hier leben) und ist seit drei Jahren hier. Sie findet Dubai dufte, denn vorher war sie in Saudi Arabien. Da ist alles deutlich strenger, denn da kann man die schöne Kleidung, die es in den Geschäften gibt, nicht tragen, sagt sie. Wobei das für Sally, eigentlich auch in Dubai keine Rolle spielt, denn mehr als ein Geschirrhandtuch kann sie sich hier wahrscheinlich nicht kaufen.

Drei Kinder hat sie. 17,16 und 11. Alle drei leben auf den Philipinen. Es ist keine Seltenheit das hier Väter oder Mütter leben, um zu arbeiten und das Geld zu ihren Kindern und der Familie nach Hause senden. Einige von den Philipinen, viele aus Pakistan, andere aus Indien. Dubai ist eine Stadt, in der sie leben um Geld zu verdienen, um zu Hause ihre Familien durchzubringen. Sally ist noch dazu allein erziehend, was dem Ganzen die Krone aufsetzt. Alle drei Kinder gehen noch zur Schule und leben bei ihrer Mama. Mir steigen das erste mal Tränen in die Augen, als sie mir erzählt, dass sie ihre Kinder ca. einmal im Jahr sieht. Weil die Flüge teuer sind, sie aber vor allem keinen Urlaub bekommt. (Sie macht normalerweise diese Nägel mit Gel und die sind stark gefragt in crazy Dubai – da gibts dann einfach keinen Urlaub. Ich möchte nach diesem Gespräch Frauen die hässlichen Gelnägel von den Fingern reißen.)

Meine letzte Woche hier war irgendwie so lala. Ich hing etwas durch, die Selbstzweifel, vieles ist anders und hach ja, es dauert einfach auch bis man in so einer Stadt ankommt. Das Leben eben. Manchmal ist es nicht leicht. Allerdings frage ich mich nach diesem Gespräch, ob ich sie eigentlich noch alle habe. Denn mein Leben ist leicht. Ich habe in der Tat keine Ahnung, was Menschen durchmachen. Ich habe keinen Schimmer.

Sally arbeitet in diesem Studio und sendet all das Geld, das sie dort verdient zu ihren Kindern, damit diese zur Schule gehen  können und eine Ausbildung haben. Der Vater der Kinder kümmert sich nicht, beide haben sich vor 8 Jahren getrennt. Sie kommt alleine für alles auf. Pro Kind zahlt sie monatlich ca. 120 Euro für die Schule. Sie hat drei. Denkste. Sie zahlt für fünf. Denn sie versorgt auch noch die beiden Kinder ihrer Schwester mit, die im letzten Jahr überraschend an Krebs gestorben ist. „Ich liebe meine Schwester so. Ich kann ihre Kinder doch nicht hängen lassen. Keiner schickt sie zur Schule.“

Jetzt weinen wir beide.

Wie das alles funktioniert mit einem Nagelstudio-Job und einem Leben in Dubai? Gar nicht. Sally hat nämlich nicht nur ein großes Herz und ist so ungefähr die stärkste Frau, die ich bisher kennenlernen durfte, sie hat auch Ideen. Neben ihrem Job kocht Sally für alle Mitarbeiter in allen Nagelstudio-Filialen Essen und verkauft dieses. Nach dem Studio-Job gehts in den Supermarkt, dann kauft sie ein, kocht zu Hause und bereitet alles vor. Um 1 geht sie ins Bett und um fünf Uhr morgens steht sie wieder auf. Vier Stunden jede Nacht. Morgens verteilt sie das Essen dort wo sie wohnt oder bringt es den Menschen an den Bus, verteilt es in ihrer Filiale. 12 Dirham, also ca. drei Euro gibt pro Essen und es ist für sie ein wichtiger Zuverdienst, ohne den das alles nicht klappen würde.

Sally liebt es zu kochen, das ist das Gute daran. Sie strahlt, wenn sie davon erzählt. Sie sagt, es sei alles ganz schön hart, manchmal habe sie Angst, dass sie irgendwann einfach nicht mehr kann. Aber sie muss doch. Wir weinen schon wieder, also versteckt und heimlich für uns, versteht sich. Sie sagt, manchmal brauche sie einfach nur jemanden, der ihr zuhört. Ihre Freundinnen haben manchmal so wenig Verständnis, das tut ihr weh. Und ihre Kinder weinen so oft und fragen wann sie nach Hause kommt. Und schicken so viele SMS und fragen nach Geld.

Ich kann es nur noch mal sagen, ich habe keine Ahnung. Ich schäme mich fast. Das es uns in Deutschland so gut geht, aber wir trotzdem so oft so miesepetrig sind. Ich würde Sally in dem Moment am liebsten alles geben, was ich habe. Ich stehe auf und es fühlt sich so an als hätte ich auf der Therapeuten-Couch (also auf der anderen Seite) und nicht im Nagelstudio-Stühlchen gesessen.

Ich drücke Sally. Ganz fest. Sie lässt kurz los, ihr Körper entspannt sich, sie schließt die Augen.

„Danke“, sagt sie „Kommen Sie bald wieder?“. Ja, sage ich.

Meine Learnings, die ich gerne mit dir teilen möchte:

  1. Interessiere dich für das Leben deiner Mitmenschen. Wir sind alle eins, keiner besser, keiner schlechter.
  2. Nicht immer können wir jedem Geld zustecken und wir können auch nicht das Leben vieler armer Menschen verändern oder retten, das ist mir bewusst, aber wir können zuhören. Verständnis zeigen. Egal für wen. Ohne zu urteilen. 
  3. Sieh hin. Egal, wo du bist. 
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Yoga und Meditation helfen mir jeden Tag dabei die beste Version meiner Selbst zu sein. Ich möchte dich dazu inspirieren, dein Leben auf den Kopf zu stellen und dich frei zu fühlen.

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