Ich hatte eigentlich nicht vor mir das neue Buch „Judgment Detox“ von Gabbrielle Bernstein zu kaufen, dass mir derzeit dauernd irgendwo entgegenblinkt. Nicht weil ich die Autorin nicht mag, ganz im Gegenteil, irgendwie fühlte ich mich nicht angesprochen. Es gibt gerade so viel andere Lektüre in Sachen Yoga & Schwangerschaft. Doch seit der letzen Woche ist klar: Ich sollte meine Nase in dieses Buch stecken. Dieses Mal war ich fix, es ist schon auf meinem Kindle und ich stecke mittendrin.
Wie ich mich selbst beim Urteilen erwische …
Ich lese also von Gabbies neuem Buch und frage mich reflektiert, während ich da so in der riesigen Buchhandlung in der Dubai Mall stehe: Brauche ich das? Habe ich doch eigentlich abgelegt, oder? Also ja früher habe ich geurteilt, aber heute doch eigentlich nicht mehr. Ich stelle das Buch zurück ins Regal. Zwei Tage später sitze ich im Wild & The Moon in der 2. Etage in der Alserkal Avenue und warte auf zwei Yogafreundinnen. Hinter mir sitzt eine junge Frau, die mir irgendwie bekannt vor kommt. Nachdem ich meinen Laptop abgestellt habe, muss ich nochmal die Treppe runter, vorbei an der jungen Frau, die jetzt am Tisch steht und aufwendige Dehnübungen macht. Kleine Turneinheit am Restauranttisch, alle schauen rüber und als ich an ihr vorbei muss, sehe ich, dass vor ihr ein Handy auf dem Tisch liegt und sie ihren Mittagspausen-Flow über Instagram mit filmt. Puh, denke ich während ich die Treppe runterlaufe, das ist so anstrengend hier in Dubai, ständig filmt sich jeder, setzt sich für Fotos in Pose – es nervt. Alles ist gestellt. Ich kotze.
Eine Stunde später muss ich wieder die Treppe runter, um auf Toilette zu gehen und am Ende der Treppe hat die junge Frau jetzt den Durchgang blockiert. Eine weitere aufwendige Dehnübung erfordert Platz, auf dem Boden vor ihr liegt wieder das Smartphone. Als ich genervt an ihr vorbeigehen will, spricht sie mich an: „Hey, bist du nicht Simone, die im Zenyoga unterrichtet? Ich war schon zweimal in deinen Klassen – die waren so schön.“ „Äh, ja“, stammel ich zurück.
„Ich fühlte mich schlecht, sofort und auf der Stelle.“
Ich hatte geurteilt und war dabei nicht milde in meinen Gedanken. Über ihr Verhalten, über sie und hatte alles, aber keine freundliche und sympathische Ansprache erwartet. Sie erzählte mir von ihrem Projekt, ein Mix aus Architektur, Kunst und Bewegung – eine Geschichte, die sie eindrucksvoll auf ihrem Instagram-Kanal in den Stories erzählt. Ich fands etwas kompliziert, mir erschloss sich nicht alles, dennoch war es gut gemacht, hatte Hand und Fuß.
Später kamen die Yogamädels, wir lunchten und quatschten und auf dem Weg nach Hause wurde mir klar: Ok, Simone, du hast ganz schön beurteilt und bewertet. Warst genervt und hast das direkt auf die Person übertragen. Und dann wurde mir klar, dass passiert mir hier öfter mal. Zwischen gemachten Brüsten, aufgespritzten Lippen & Co entweichen mir viele beurteilende Gedanken, die so gar nix mit dem Mensch an sich zu tun haben. Und das sollte ich, gerade als Yoga-Lehrerin, nicht tun.
Jedes Bewertung trennt uns auch von uns selbst
Gleich zu Anfang ihres Buches klärt mich Gabbie auf: Wir alle urteilen und beurteilen ständig. Egal, wie weit wir in unserer spirituellen Praxis sind. Es geht also erst einmal darum sich das einzugestehen, ohne sich selbst gleich wieder zu verurteilen. Schnell lerne ich, dass urteilen und bewerten uns ganz automatisch von Liebe, bzw. einem liebevollen Blick auf die Person, trennt. Wenn wir urteilen, fühlen wir uns selbst abgetrennt und sind irgendwie ängstlich – alles andere als gut also. Hinter all den kleinen Beurteilungen, die wir täglich unternehmen, egal ob ausgesprochen oder gedacht, verbergen sich unsere eigenen Ängste. Viel mehr noch, was wir an anderen verurteilen, ist eine direkte Reflektion unserer selbst. Meist steckt dahinter eine tiefe Wunde, für deren Heilung wir bisher nicht bereit waren. Oha!
Das Buch ist eine feine Unterstützung, um an einem Muster zu arbeiten, das wohl viele von uns in uns tragen. Und für das wir uns nicht schämen müssen. Vielmehr ist es an der Zeit alte Muster abzulegen, oder? Und wie schön, wenn wir von Menschen, über die wir geurteilt haben, am Ende positiv überrascht werden.
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