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KOLUMNE: Scham, Schuld und Aktivismus.

Manchmal frage ich mich, was das für eine Welt ist, in die ich ein kleines Kind gesetzt habe. Klimawandel, Coronakrise, Rassismus. Was muss passiert sein, dass Menschen gedankenlos das Leben anderer Menschen auslöschen? Wie kann ich selbst lernen rassismuskritisch zu denken, zu leben und mein Kind dahingehend zu erziehen? Wie ich damit umgehe, was ich gerade lerne, lese und anhöre, möchte ich mit euch teilen. Auch weil ich glaube das Yoga in diesen Zeiten eine politische Verpflichtung hat.

Angst ist in unserer Gesellschaft so weit verbreitet, dass mir genau diese Tatsache manchmal Angst macht. Ja, das ist meine Angst. Dass wir alle so viel Angst haben. Menschen haben Angst vor Veränderung. Sie wollen sehr oft, dass alles gleich bleibt. Das ist für mich schwer zu akzeptieren, denn ich mag es, wenn die Dinge sich ändern, das hält mich am Leben.

„Menschen haben Angst davor andere Menschen als gleichberechtigt anzuerkennen“, schreibt Kübra Gümusay, in ihrem Buch „Sprache und Sein„. Wir haben Angst vor einer ungewissen Zukunft, in der es ein Miteinander gibt, ohne wenn und ohne aber. Wie können wir davor Angst haben? Eine Zukunft ohne Diskriminierung, ohne Fragen stellen, ohne Sichtbar sein der PoC (People of colour) bei gleichzeitiger Unsichtbarkeit. Kübra Gümusay, fragt: „Wie sähe eine Welt aus, in der kein Mensch aufgrund seiner Hautfarbe, seines Geschlechts, seiner Religion, seiner Klasse oder seiner sexuellen Orientierung diskriminiert wird? Eine Welt, in der Menschen nur so viel nehmen, wie sie tatsächlich brauchen? Ehrlich gesagt: Es gibt keine Gewissheiten. Ich kenne eine solche Welt nicht, keiner kennt sie.“
Ich habe dieses Zitat mehrmals gelesen, weil es mich einfach so traurig macht. Und gleichzeitig weiß ich, dass auch ich ein Teil davon bin.

Was gewiss ist, Gerechtigkeit wird nicht auf einmal passieren, ohne das wir etwas tun. Wir alle müssen ganz aktiv einen Teil dazu beitragen. Denn, als weiße, privilegierte Menschen wissen wir nicht, wie es ist Schwarz zu sein. Punkt. Wir wissen nicht, wie es ist, wenn unsere Hautfarbe eine Rolle bei der Berufswahl oder der Wohnungssuche spielt. Wir kennen die Gedanken nicht, die sich eine Mutter um ihre Schwarzen Kinder macht. Es ist wie es ist: Ich bin privilegiert, allein aufgrund der Tatsache, dass ich weiß geboren wurde.

I’ve learned that people will forget what you said, people will forget what you did, but people will never forget how you made them feel.

Maya Angelou

In meinen letzten Yogastunden habe ich Rassismus zum Thema gemacht, weil es sich richtig angefühlt hat und weil ich alles zum Thema mache, was in mir arbeitet. Ich war auf einmal aufgeregt und hatte Angst (ah, da ist sie wieder) etwas Falsches zu sagen. Und dabei machte ich Fehler, wie ich ein paar Tage später im Buch „Exit Rassism“ (ich höre das Hörbuch auf Spotify) von Tupoka Ogette hörte, während ich meine Toilette schrubbte. Ich sprach in den Yogastunden über Rassismus, tat es aber, ohne das Wort Rassismus in den Mund zu nehmen. Die Autorin sagt: „Rassismus verschwindet nicht, wenn wir ihn nicht benennen.“

Auch die Idee, das Rassismus nur in den rechtesten Ecken von Deutschland existiert, hilft uns nicht weiter, weil wir damit das Problem von uns weisen. Habe auch ich so gedacht? Ja. Tupoka Ogette arbeitet als Trainerin, Beraterin und Coach zu den Themen Diskriminierung, Rassismuskritik und Antirassismus. In ihrem Hörbuch geht es um die Entstehungsgeschichte des Rassismus, mit besonderem Blick auf Deutschland und die unsichtbaren rassistischen Strukturen, die sich in unserem Denken und Handeln festgesetzt haben. Was passiert also, wenn wir Rassismus von uns weisen? Wir verdrängen, wir schämen uns, fühlen uns schuldig und damit ist das Thema dann irgendwann erledigt. Denn Scham halten wir nicht gern (lang) aus. Im Achtsamkeitstraining und im Yoga geht es darum, dass wir uns den negativen Gefühlen stellen, das wir lernen diese auszuhalten. All feelings are welcome. Die Tabuisierung der Thematik ist auch deshalb so gefährlich, weil Rassismus dadurch nicht weniger wird. In dem du, wie ich in der Yogastunde, das Wort nicht in den Mund nimmst, verhinderst du ,das er (der Rassismus) entlarvt wird.

Rassismus ist allgegenwärtig.

Tupoka Ogette

Tupoka Ogette fordert in ihrem Hörbuch immer wieder dazu auf, bei sich selbst nachzuspüren, was das Gehörte mit einem macht. Diese Arbeit finde ich besonders wichtig, weil wir so oft das Fühlen und Nachspüren vernachlässigen. Ich fühle also in mich hinein. Ich bin verwundert, wie wenig ich über die Entstehung von Rassismus weiß. Ich wundere mich auch, dass die Autorin erwähnt, das bei manchen Zuhörern ein Gefühl von Ärger aufkommen könnte. Bei mir überwiegt Scham. Mit der setzte ich mich am Abend in der Meditation auseinander. Ich erkenne an, dass ich nicht alles richtig machen und wissen kann, und das ich kein perfektes Ideal bin. Und trotzdem denke ich, dass ich nicht rassistisch bin (denken wir das nicht alle?), bis ich von den Mikroaggressionen höre. Da macht es im Kopf ganz leise klick.

Mikroagressionen sind subtile übergriffige Äußerungen im alltäglichen Handeln. Scheinbar wohlmeinend, oft gedankenlos. Wir senden sie aus, sind uns aber der Botschaft nicht bewusst. Dazu gehört zum Beispiel, dass wir POC für ihr gutes Deutsch loben oder fragen, woher kommst du wirklich? Aber auch Aussagen wie, „Alle Schwarzen können gut tanzen.“ und „Schwarze Babys sind die Süßesten.“ gehören dazu.
Ich habe im Laufe der Lektüre und des Zuhörens gelernt, dass uns weißen Menschen ein ganzes Leben lang beigebracht wird, weiße Privilegien nicht zu erkennen. Und so ruft das Hörbuch unter anderem dazu auf, sich eine Liste der eigenen Privilegien zu machen. Ich hatte Schwierigkeiten sie zu erstellen. Zweites Mal geklickt. Wir alle können nichts für die Umstände, in die wir geboren wurden. Ja. Was wir aber alle tun können, ist Verantwortung zu übernehmen. Da drücken wir uns ganz schön oft.

In meinem kleinen Kämmerlein habe ich die liebevolle Güte-Meditation praktiziert, weil sich das für mich gut angefühlt hat. Außerdem glaube ich, dass wir immer zuerst bei uns selbst ansetzen müssen. Dass wir uns selbst verzeihen und von Scham und Schuld erleichtern müssen. Und dann müssen wir aufstehen, losgehen, aktiv werden, Verantwortung übernehmen und (weiterhin) Mitgefühl praktizieren.

It is time to bring consistently and persistently mindful awareness, keen discernment, energetic response, intense interest, a foundation of calm and steadiness and a spaciousness that can hold it all. In telling the truth and helping others in whatever way we can, we are cultivating all these qualities in ourselves and we develop the inner resources to be of help to others.

Sharon Salzberg

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich habe so viele Fragen zu dem Thema. Ich bin unsicher geworden sie zu stellen, weil ich sie nicht falsch stellen möchte. Also bleibe ich dran an dem Thema. Lese, höre zu, lerne und trage hoffentlich mit jedem einzelnen kleinen Schritt zu einer freundlicheren Welt bei.

Hier sind die Literaturtipps im Überblick:

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Yoga und Meditation helfen mir jeden Tag dabei die beste Version meiner Selbst zu sein. Ich möchte dich dazu inspirieren, dein Leben auf den Kopf zu stellen und dich frei zu fühlen.

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