Mit Catrin Meyer, der Autorin dieses Textes, habe ich vor ewigen Zeiten zusammen in einer Agentur gearbeitet. Da war ich frisch in der Branche und Catrin wusste schon länger wie der Hase läuft, oder besser gesagt, rennt. Wie Catrin geht es vielen von uns: Sie nimmt sich ständig zu viel vor und ärgert sich, wenn etwas nicht klappt oder unerledigt liegen bleibt. Als ihre Konzentration bei der Arbeit immer schlechter wurde, wuchs in ihr der Wunsch zu meditieren. Ein achtwöchiger Kurs sollte ihr dabei helfen achtsamer zu werden. Ob es geklappt hat, was sie gelernt hat und welche Rolle dabei Disziplin und Humor spielen, erzählt sie im Erfahrungsbericht.
Wie ich fand, was ich nicht suchte …
Mindfulness-based Stress Reduction, kurz MBSR – der Begriff hört sich ziemlich dröge an und ich verstehe, wenn er einen nicht gerade vor Neugier vom Stuhl haut. Inhaltlich vielleicht schon eher, denn es geht um die Praxis der Achtsamkeit. Beim MBSR-Training übt man sich mithilfe verschiedener Meditationsformen darin, ganz im gegenwärtigen Moment zu sein und alle aufkommenden Gedanken und Gefühle ohne Bewertung so anzunehmen, wie sie sind. Der US-Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn hat die Methode vor gut 30 Jahren entwickelt und dabei eine eher wissenschaftliche und sehr lebensnahe Herangehensweise an den Tag gelegt – selbst Skeptiker werden es schwer haben, das Programm als „esoterischen Kram“ abzutun. Die MBSR-Methode beinhaltet ein achtwöchiges Training, das man für sich allein oder im Kurs durchlaufen kann. Ein MBSR-Kurs besteht aus acht Gruppentreffen und einem gemeinsamen Meditationstag. Außerdem gehört es zum Kursprogramm, täglich zu meditieren. Und hier kam ich ins Spiel.
Ich hatte das Gefühl festzustecken
Im Laufe der letzten Jahre wuchs in mir der Wunsch, regelmäßig zu meditieren. Die Gründe sind wahrscheinlich Klassiker: Ich nahm mir ständig zu viel vor, merkte es zu spät, ärgerte mich über mich, konnte mich immer schlechter konzentrieren und der Kreislauf begann von vorn. Ich sah das alles und schaffte doch nicht, es zu ändern. Also las ich haufenweise Bücher, höre mir geführte Meditationen an – und vergaß all mein „Wissen“, wenn es drauf ankam. Obendrein machte ich mir vor, ich hätte keine Zeit zu meditieren – und es stimmte ja auch, meine Tage waren randvoll. Dass das gerade ein Grund dafür gewesen wäre, es dennoch zu tun? Hatte mir mal jemand gesagt, hatte ich auch verstanden, geändert habe ich aber nichts. Langer Rede kurzer Sinn: Ich hatte das Gefühl festzustecken. Da stieß ich (per Zufall oder weil es so ein sollte) auf einen MBSR-Kurs, der Anfang dieses Jahres beginnen sollte, und meldete mich an.
Weiter, immer weiter …
Um es gleich vorwegzunehmen: Tatsächlich habe ich im Kurs gelernt, Meditation zum Teil meines Alltags zu machen – für mich erstaunlich genug. Noch verrückter fand ich aber, dass mir das dank einer Eigenschaft gelang, die mich bislang immer genervt hat und für die ich mich ehrlich gesagt sogar etwas geschämt habe: Disziplin! In den acht Wochen des Kurses war es nämlich unsere Hausaufgabe, jeden Tag 45 bis 60 Minuten zu meditieren – und Hand aufs Herz, nur deswegen habe ich es ohne Wenn und Aber gemacht. Jon Kabat-Zin schreibt in seinem Buch „Gesund durch Meditation“, dass er neue Patienten in seiner Klinik immer mit folgenden Worten begrüßt hat: „Sie müssen dem täglichen Meditationsprogramm nicht gern folgen, Sie müssen ihm einfach nur folgen. Am Ende der acht Wochen können Sie uns dann sagen, ob es Zeitverschwendung war oder nicht. In der Zwischenzeit aber gilt: Üben Sie unbeirrt weiter, auch wenn Ihr Geist Ihnen ständig weismachen will, dass es unsinnig oder pure Zeitvergeudung sei. Üben Sie mit ganzem Herzen, als ob Ihr Leben davon abhinge …“ Und was soll ich sagen: Das mit dem Geist kann ich unterschreiben. Gleichzeitig war das unbeirrte Dranbleiben für mich der Trick, der den Unterschied gemacht hat.
Damit könnte mein kleiner Bericht enden, aber dann wäre er nicht mal halb vollständig, denn was ich im Kurs gelernt habe, geht weit über das hinaus, was ich mir erhofft hatte. Klar ist auch: Acht Wochen MBSR-Kurs kurz zusammenzufassen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Zumal so ein Kurs eine Reise ist, die sich bei jedem komplett anders gestaltet. Egal was ich schreibe – nichts davon besitzt Allgemeingültigkeit. Jeder hat seine eigene Geschichte, seine Persönlichkeit und seine Erwartungen, die zu einem ganz eigenen Weg führen, auf den man sich so oder so begeben kann. Ich kann also nur ein wenig aus meinem ganz persönlichen Nähkästchen plaudern.
Lektionen fürs Leben
Die Grundlage für die Achtsamkeitspraxis nach Jon Kabat-Zinn bildet eine innere Haltung, die aus verschiedenen Aspekten besteht: Nicht-Urteilen, Geduld, Anfänger-Geist, Vertrauen, Nicht-Erzwingen, Akzeptanz und Loslassen. Sie geben Orientierung bei der Meditation, aber auch bei den wöchentlich wechselnden Kursthemen – von der Selbstwahrnehmung über den Umgang mit Stress bis hin zur achtsamen Kommunikation. Soweit die Theorie. Dass nun jeder mit anderen Haltungsaspekten hadert und mit anderen Kursthemen zu kämpfen hat, versteht sich von selbst. Gerade daraus konnte ich irre viel lernen – und ich schreibe zwar „konnte“, meine aber nicht, dass ich damit fertig bin. Ich habe unzählige Anstöße bekommen, doch das Lernen und Erkennen geht jeden Tag weiter.
Ich hatte zum Beispiel ein großes Problem damit, dass bei unseren Treffen so wenig erklärt wurde. Ich wollte das alles verstehen, hatte so viele Fragen und fühlte mich nicht abgeholt. Nach und nach wurde mir dann aber immer klarer, dass es hier gerade nicht ums Verstehen, sondern ums Erfahren ging. Mir fiel auf, wie oft im Leben ich vor allem verstehen will, ohne mir die Chance zu geben, zu spüren und dann meine Entscheidungen zu treffen.
Überhaupt, Entscheidungen: Mir war immer klar, dass das Leben aus Entscheidungen besteht und dass ich glücklicherweise die Freiheit habe, die meisten davon selbst zu treffen und so mein Leben zu bestimmen. Ich dachte sogar, dass ich es genau so mache. Aber ich hatte dabei immer nur die großen Entscheidungen im Kopf – also: was will ich arbeiten, wo will ich leben, möchte ich Kinder usw. Was ich überhaupt nicht auf dem Schirm hatte: Mindestens genauso wichtig sind doch die vielen, vielen kleinen Entscheidungen, die unser tägliches Leben bestimmen! Zum Beispiel: Nehme ich mir jeden Tag meine Zeit, um zu meditieren? Das ist meine Entscheidung, niemand sonst wird sie für mich treffen! Das bedeutet natürlich auch, dass ich entscheiden muss, was ich dafür weglasse. Ich muss meine Prioritäten überdenken und durch meine Entscheidungen manchmal andere enttäuschen, weil ich etwas für sie nicht oder zumindest nicht sofort machen kann – aber ich habe jetzt kein schlechtes Gewissen mehr deswegen, denn ich stehe mit meinem Innersten hinter meinen Entscheidungen, seitdem ich sie so bewusst treffe. Ich ziehe nicht mehr alles durch, was ich mir vorgenommen habe, sondern lasse bewusst Dinge weg, die „zu viel“ sind.
Surprise, surprise
Wie gesagt: Was das MBSR-Programm einem bringt, ist natürlich vollkommen individuell – und am Ende nur der Startschuss für eine lebenslange Reise. Ich meditiere immer noch jeden Tag und nach wie vor kämpfe ich oft mit mir, weil ich keine Lust habe oder meine, ich hätte „Wichtigeres“ zu tun. Ich schweife immer noch mit den Gedanken ab – mal mehr, mal weniger. Aber ich bin jedes Mal glücklich, wenn ich mich dann doch hingesetzt habe und mir sage, dass ich mir jetzt bewusst Zeit für mich nehme und einfach nur schaue, was mich an diesem Tag erwartet.
Übrigens: Solche Selbsterkenntnisse wie eben beschrieben – die habe ich andauernd. Besonders gern mache ich mir vor, wahnsinnig achtsam geworden zu sein, um mich direkt im nächsten Moment dabei zu ertappen, dass ich mal wieder etwas bewerte oder erzwingen wollte. Es gibt aber einen großen Unterschied zu früher: Ich ärgere mich viel seltener über mich, sondern nehme mein „Durchs-Leben-stolpern“ mit Humor. Ich bin netter zu mir, weniger streng – zumindest meistens. Meinen Alltag bekomme ich tatsächlich schon jetzt tausendmal besser geregelt. Und alles, was sich sonst noch so zeigen wird, bleibt die Überraschung des Lebens.
Catrin Meyer ist selbstständige Texterin und viel beschäftigt. Als ihr Kopf mal wieder randvoll war und der Leidensdruck größer wurde, entschloss sie sich mit Meditation zu beginnen. Nach unzähligen Anläufen hat sie erkannt, dass es nichts bringt, immer mehr Wissen anzuhäufen, sondern dass sie schlicht und ergreifend ins Tun kommen muss.